Sonntag, 20. Februar 2022

Wie ich mehr Rolli-Rainer wurder, anstatt Ballett-Anna

Was wäre die Winter-Weihnachtszeit ohne meine Kindheits-Wohlfühl-Serien: Nesthäkchen, Schwarzwaldklinik, Ich heirate eine Familie und ANNA. Und zwar nicht die Disney Frozen Anna, sondern die ANNA Weihnachtsserie aus den 80er Jahren. Für all die jungen Küken: Damals, als wir nur drei Fernsehsender hatten, gab es zwischen Weihnachten und Silvester im ZDF immer eine 6-teilige Serie. Das Ganze nannte sich zwar Weihnachtsserie, aber nur wegen dem Ausstrahlungszeitraum. ANNA löste 1987 einen totalen Balletthype aus. Aber mich berührte die Serie noch aus anderen Gründen. 

Für alle unwissenden: Anna (Silvia Seidel) ist eine junge Ballettschülerin im Teenageralter. Durch einen Autounfall ist sie vorübergehend gelähmt - ohne Lebensmut und ohne Willen sich wieder zu bewegen. Im Krankenhaus und in der Reha begegnet ihr Rainer (Patrick Bach). Er ist seit einem Skiunfall querschnittsgelähmt und hat immer und überall seine Videokamera dabei (damals in den 80ern, da gab es keine Handys, Instagram und Co...). Rainer schafft es Anna neuen Mut zu geben und am Ende tanzt sie auch wieder Ballett. Außerdem gab es noch die Ballettlehrerin Madam Kralowa (Milena Vukotic), die eine Lungenerkrankung hat (Asthma?), an der sie am Ende auch stirbt.

Mein Leben mit 12

Ich war 1987 zwölf Jahre alt und schon richtig schwer Muko-krank. Mir wurde bereits ein Teil der Lunge entfernt, nachts bekam ich Sauerstoff, war im Jahr vier oder fünf mal im Krankenhaus, dazu Reha und ich war extrem untergewichtig. Für größere Ausflüge fingen wir an, einen Rollstuhl auszuleihen. 

Wie fast alle Mädels in meinem Alter habe ich die Serie geliebt und hätte am liebsten auch sofort mit Ballett angefangen. Aber für mich war die Serie noch mehr. Die ein oder zwei Folgen die im Krankenhaus und der Reha spielen, waren für mich ja "normal". Endlich mal im Fernehen sehen, was ein großer Teil meines Lebens ist und das mit jungen Leuten. Überhaupt war dort alles neu - allein ein junger Rollstuhlfahrer und das in einer Serie für Kinder und Jugendliche. Das war schon besonders. Dazu die lungenkranke Ballettlehrerin, für mich natürlich eine besondere Verbindung. Allerdings hat mich immer aufgeregt, dass sie ihr "Lungenspray" total falsch benutzt - kein Wunder das es nicht geholfen hat. :-)

Motivation

Mukoviszidose ist in dem Zustand, in dem ich schon war, sehr therapieaufwendig. Viele Stunden Inhalation, Atem-  und Phsiotherapie, Medikamente, Sauerstoff, künstliche Ernährung (bei mir ab 1988) und nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass Bewegung und Sport bei Lungenerkrankungen nicht mehr verboten, sondern sogar sehr wichtig sind. Da immer diszipliniert und motiviert zu bleiben, ist nicht einfach. Darum haben mir besonders gut die Szenen gefallen, die gezeigt haben wie hart Anna übt und trainiert. Das mag sich blöd anhören, aber noch heute kriege ich einen Motivationsschub, wenn ich das schaue. Jedesmal fange ich wieder an Treppen zu zählen, Tendus und Pliés zu üben und bin fest der Überzeugung mit viel Training schaffe ich alles - egal ob zu der Zeit mit Sauerstoff oder jetzt mit meinen kaputten Knochen und Muskeln. Natürlich rächt sich mein Körper jedesmal, aber ich lerne auch nicht daraus *lach*. In diesem Jahr hatte mein Körper vorgesorgt, damit ich erst gar nicht wieder auf dumme Ideen komme. Nach etwa zwei Monaten heftiger Schmerzen stellte sich einen Tag vor Weihnachten raus, dass ich einen Fersenbeinbruch hatte. Also nix mit Treppensteigen nach ANNA gucken.

Mehr Rainer...

Jetzt bin ich schon wieder ein bisschen vom Thema abgekommen. Warum sag ich, das ich mehr wie Rainer geworden bin, anstatt wie Anna. Da war (und ist) natürlich der Rollstuhl, anstatt von Ballettschuhen. Und ich hatte zwar keine Videokamera, aber es gab Menschen die behauptet haben sie würden mich nicht erkennen, wenn ich keinen Fotoapparat vorm Gesicht hätte. Ich habe so selten Freunde treffen können und meine wenigen schönen Momente waren so enorm wichtig für mich, dass ich einfach alles festhalten wollte, um mich in schlechten Phasen daran hochzuziehen. Außerdem musste Rainer viel trinken, weil seine Nieren Probleme machten. Damals waren zwar meine Nieren noch in Ordnung, aber ich musste viel trinken um den Schleim in der Lunge möglichst flüssig zu halten. Immer fröhlich sein, andere motivieren und versteckt eben trotzdem traurige, einsame Momente haben, auch darin fand ich mich wieder. Im Rückblick vielleicht noch mehr als 1987.

Miriam im Rollstuhl an Bord der Costa Luminosa 2019
- vor Corona, trotzdem mit Mundschutz

...und doch noch ein bisschen Anna


Die Idee zum Ballettuntericht zu gehen, war immer mal wieder in meinem Kopf. Ganz besonders mit 19, 20 Jahren, nachdem ich in Rente gehen musste und mehr Zeit und Energie für schöne Dinge zurück gewann. Aber zu dem Zeitpunkt fand ich nicht die richtigen Informationen und konnte mir nicht vorstellen, dass es Anfängerkurse für Erwachsene geben könnte - und wenn doch, dass sie mich so krank nicht nehmen. Als ich 30 und 24/7 sauerstoffabhängig war, erzählte mir eine Freundin, dass sie in Dresden war. Ich solle bitte nicht lachen, aber nach einer Führung durch die Oper, hätte sie total Lust bekommen mit Ballett anzufangen. Sie hat es nicht gemacht, aber für mich war es der Startschuss meiner Ballett"karriere". Nach einem missglückten Versuch habe ich eine so tolle Ballettgruppe gefunden, dass allein füllt einen langen Blogbeitrag. Hier gibt es ein vom Muko ev produziertes Video, da könnt ihr mich bei meinen Ballettanfängen sehen - noch mit Sauerstoff, lange vor meiner Lungentransplantation. Ballett ist mir ganz wichtig geworden und hat mich manches mal aus einem Tief geholt - körperlich und mental. Auch wenn ich es nicht so intensiv machen konnte/kann. So bin ich am Ende doch noch ein kleines bisschen Anna geworden.
Miriam, 2011, auf "Spitze" auf dem Seil vom kleinen Sport-Parcour
in der Reha Klinik Zeepreventorium. 

2022


Der Rainer-teil ist größer geworden, da auch meine Nieren inzwischen viel Probleme machen.

Der Anna-teil ist zur Zeit fast verschwunden. Zum einen kann ich seit der Pandemie nicht zum Unterricht gehen, aber auch meine ständig gebrochenen Knochen und die Schmerzen lassen es nicht zu. Aber ich hoffe immer noch, dass ich zu meiner Gruppe zurück kann. Irgendwann, irgendwie. Wenigstens ein wenig mitmachen, nicht gut... aber mit Spaß. Das ist meine Motivation meinen Körper irgendwie fit zu bekommen und immer weiter zu üben, weiter zu kämpfen. 

Fun-Fact


Selbstverständlich ist die Serie sehr, sehr 80er. Die Klamotten, aber auch die "lustigen" Sprüche. Zum Beispiel: Keiner wäscht Rainer. Damals ein Brüller. Solche Sprüche mit Namen waren total in. Meine Schulklasse hatte einen für mich:

"Alle liegen auf dem Sofa, nur Miriam, die in Hannover."

Damit war natürlich meine Klinik, die Medizinische Hochschule Hannover gemeint ;-).

Ich geh jetzt mental ein bisschen tanzen,

Miriam


Sonntag, 6. Februar 2022

Kurzurlaub Muko-Style

Endlich mal wieder Koffer packen. Bis auf einen traurigen Grund war ich seit Dezember 2019 nicht mehr weg. Na gut, zweimal noch Krankenhaus, aber auch da habe ich nicht mehr selbst die Koffer gepackt. Daher war ich gar nicht mehr in Übung - an was muss ich bloß alles denken? Während ich ein bisschen verpeilt meine Sachen gepackt habe, dachte ich mal wieder daran, dass das vor meiner Lungentransplantation fast 30 Jahre lang eine meiner normalsten Tätigkeit war. Alle 8 - 12 Wochen für zwei Wochen Klinik packen. Und wie schnell sind zwei Monate um. Gerade alles ausgepackt, ging es eigentlich schon wieder ans einpacken.

Reiseziel

Dieses mal brauchte ich nur für knapp vier Tage packen. Und wohin ging nun meine erste Reise in der Pandemie? Es ging nach Hannover. Spektakulär, ich weiß. Ich hatte an zwei Tagen hintereinander Ambulanztermine in der MHH (Medizinische Hochschule Hannover) und wollte nicht den Stress mit dem hin und her fahren haben. Dazu kam, dass ich mir ja das Fersenbein gebrochen hatte und damit noch nicht so gut länger Auto fahren kann. Außerdem habe ich mich auch tatsächlich gefreut, mal wieder ein bisschen raus zu kommen, was anderes zu sehen und ein bisschen für mich zu sein.

Haus Schutzengel

Übernachten konnte ich im Haus Schutzengel vom Muko e.V. Wir haben hier schon häufiger davon berichtet. Es ist ein Haus neben der Klinik, in dem Angehörige günstig übernachten können. Außerdem ist alles so eingerichtet, dass auch Muko Patienten ohne Risiko dort schlafen können (ihr wisst schon, Hygiene-Konzept, Keimproblematik...). Es ist aber nicht einfach nur günstiger als im Hotel zu übernachten, es ist persönlicher, herzlicher. Ich habe mich wieder so aufgehoben gefühlt, mir will gar nicht das richtige Wort dafür einfallen. 

Miriam vor dem Haus Schutzengel in Hannover.

Durch die Nähe zur Klinik konnte ich direkt mit dem Elektro-Rollstuhl "rüber" fahren. Und als ich völlig geschafft am nachmittag zurück war, hingen Brötchen an meiner Tür und eine Mitarbeiterin hatte mir noch Tee besorgt. Total lieb.

Da ich sonntags angekommen bin und da normalerweise kein*e Mitarbeiter*in im Haus ist, hat Insa mir beim einziehen geholfen und ihr Mann hat wieder einmal toll gekocht. Es war richtig schön so gemütlich zusammen zu sitzen. Bevor ich wieder nach Hause musste, habe ich mich noch mit meiner langjährigen Muko-Freundin Nadine getroffen. Auch dort wurde ich lecker bekocht. Daher waren es trotz der Kliniktermine wunderschöne Tage und wirklich wie ein kleiner Urlaub. 

Wer das Haus Schutzengel unterstützen möchte, findet hier alle Informationen. Oder ihr merkt euch schon mal den 28.08.2022 vor, da findet zum 15ten mal der von Insa organisierte Muko-Spendenlauf Hannover statt. Alle Einnahmen gehen auch in diesem Jahr an das Haus Schutzengel. 

Urlaubsgrüße sendet Euch

Miriam