Freitag, 11. März 2022

Medikamentenabhängig?!

Als ich ungefähr 12 Jahre alt war, schickten mich meine Eltern (allein) zur Kur. (Inzwischen heißt das Reha... damals war aber alles irgendwie Kur.) Meine Eltern und mein behandelnder Prof. in der MHH hatten etwas länger hin und her überlegt, ob so ein Aufenthalt das Richtige für mich sei. Ich war noch ziemlich jung - aber doch geschult im Umgang mit allen Medikamenten und Inhalationen. Damals hatte ich schon einige Tiefpunkte und Verschlechterungen hinter mir... ich wußte also, was ich der modernen Medizin zu verdanken hatte und konnte sehr gut einschätzen, wie schnell es ohne Medikamente wieder bergab gehen würde. Für Muko-Verhältnisse nahm ich damals schon eine Menge Tabletten ein und inhaltierte vier Mal am Tag.

Die Klinik, in der ich meinen Aufenthalt verbringen sollte, war eine der wenigen Einrichtungen, die auf Mukoviszidose-Patient*innen spezialisiert war. Sie hatte einen guten Ruf. Also auf ins Abenteuer!
(Ich werde hier den Namen der Klinik nicht erwähnen, weil dieser Geschichte schon fast über 40 Jahre her ist und sich seitdem eine Menge verändert hat.)

Ich kam mit einem größeren Schwung an Kindern in der Kureinrichtung an und wurde auf der Muko-Station in einem Dreibettzimmer untergebracht. Ich hatte ein paar Tabletten für die ersten Tage dabei, aber nicht für den gesamten Aufenthalt. Auch mein Inhaliergerät hatte ich zu Hause gelassen, weil wir davon ausgingen, dass Inhaliergeräte Standard sind und ich dort garantiert eins bekommen würde (bekam ich in der MHH ja auch immer bei jedem Aufenthalt).

Am ersten Tag durfte ich auch einmal kurz dem Direktor "Guten Tag" sagen. Er inspizierte meine Medikamentenliste und stellte fest, "dass das ja eine ganze Menge sei...". Und er machte gleich Überlegungen, welche Tabletten oder Inhalationen man wohl weglassen könnte. Natürlich gingen bei mir (auch als 12-Jährige) die Alarmglocken an - aber welche Chance hatte ich gegenüber dem Direktor? Ich hoffte, es würde sich irgendwie klären lassen.

Auf der Station gab es dann kein Inhalationsgerät für mich - es gab für die ganze Station ein einziges im Schwesternzimmer und inhaliert wurde nur auf Ansage. Das fand ich seltsam. Dann wurde meine Medikamentenliste zusammen gestrichen. Ich versuchte mit den Schwestern zu reden - aber das Muko-Kind, das ich nun mal war, wurde ignoriert.

Nach ein paar Tagen begann es mir schlechter zu gehen. Irgendwann saß ich weinend im Schwesternzimmer und versuchte der Schwester klar zu machen, dass ich die Tabletten und Inhalationen brauchte, weil es mir sonst immer schlechter gehen würde. Die Schwester tat sehr verständnisvoll. Sie streichelte mir über den Rücken und sagte dann den Satz, den wohl kein Muko (oder chronisch kranker Mensch) hören will: "Du weisst doch was das bedeutet, oder? Du bist medikamentenabhängig." Punkt. Das saß. Alles weiter, was ich danach noch versucht zu sagen oder zu erklären, wurde damit abgeschmettert. 

Damals gab es keine Handys und ich glaube, es gab auch keine Telefonzelle auf dem Gelände. Meine einzige Chance war ein Brief nach Hause... Ich weiß nicht mehr genau, was ich damals geschrieben habe außer "Ich will hier weg. Holt mich bitte ab." Aber meine Eltern erkannten die Situation glücklicherweise und hielten es nicht nur für Heimweh. Sie kamen und holten mich ab und wir fuhren direkt zur MHH, die mich wieder aufgepäppelt hat. 

Mein Prof. war danach stinksauer. Ich glaube, er hat nicht so schnell wieder Patient*innen in diese Einrichtung geschickt... Und ich habe auch keinen zweiten Kur-Versuch unternommen. Das Thema war durch - ein für alle Mal. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was hätte alles passieren können...

 Foto: Insa sitzt im Terassenstuhl - leider gibt es aus dem Kur-Jahr keine vernünftigen Bilder von mir... dies ist ein Foto aus dem darauffolgenden Jahr.

Meine Mutter hat an dieses Erlebnis immer noch traumatische Erinnerungen - mehr als ich. Aber woher hätten wir wissen sollen, dass dort bestimmte Medis und Inhalationen nicht zum Standard gehören?
Alles im allem, bin ich froh, dass ich diese Episode gut überstanden habe. Und ich hoffe, heute läuft das alles besser in den Reha-Einrichtungen...

Insa 


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