Samstag, 6. Juli 2019

Liebesbrief an meine alte Lunge

Liebe "alte" Lunge!

Ende Juni hatte ich Geburtstag, ein weiterer Geburtstag ohne Dich. Demnächst ist es sechs Jahre her, dass Du aufgegeben und mich allein gelassen hast. Nein, so ist das nicht richtig. Es ist sechs Jahre her, dass Du aufgeben musstest (konntest/durftest). Als ich nach der Lungentransplantation die Fotos von Dir gesehen habe, war ich noch einmal tief beeindruckt und dankbar, dass wir trotzdem so lange zusammen gelebt haben. Ich sehe die Ärztin noch lachen als ich sagte: "Wahnsinn, dass das noch funktioniert hat." Sie erwiderte nur trocken: " Hat es ja eben nicht.". Ja okay, zugegeben, die letzten sieben Tage warst Du nur noch anwesend ohne zu arbeiten und die ECMO (eine Art Herz-Lungen-Maschine) hat Deinen Job erledigt. Aber die Wochen, Monate und Jahre vorher klappte das mit uns beiden doch noch ganz gut. Okay, soooo gut jetzt vielleicht auch nicht, aber zumindest viel besser als alle anhand der Werte und Prognosen gedacht hätten.
                            Unser letzes Foto als Team - 12 Stunden vor dem Einsatz der Her-Lungen-Maschine

Was haben wir nicht alles zusammen erlebt: So viel Schönes und so viel Schlimmes. Manchmal haben wir miteinander gearbeitet, manchmal gefühlt gegeneinander. Was war ich in vielen Momenten wütend auf Dich, enttäuscht von Dir, fühlte mich im Stich gelassen und habe Dich gleichzeitig geliebt, war stolz auf Dein Durchhaltevermögen und glücklich, wenn wir zusammen eine Krise gemeistert hatten. Ich kannte jede noch so kleine Ecke von Dir, wusste jedes Geräusch (oder fehlendes Geräusch) zu deuten. In den letzten Jahren hätten wir fantastisch Gruselfilme synchronisieren können. Alle Deine Reaktionen waren für mich vorhersehbar - meistens jedenfalls. Ich wusste wie ich Dir helfen kann, was Du wann brauchtest und wie ich Dich überzeugen konnte noch etwas durchzuhalten. Hin und wieder saßt Du leider am längeren Hebel, überraschtest mich mit Lungenblutungen, plötzlicher Atemnot, akuten Infektionen oder ähnlichem. Anderseits habe ich Dich wahrscheinlich oft an Deine Grenzen gebracht und auch darüber hinaus überfordert und Dir sicher auch einige Male nicht die Aufmerksamkeit und Disziplin entgegengebracht, die Du gebraucht hättest.

Aber unterm Strich waren wir doch ein wirklich tolles Team. Es hatte uns keiner zugetraut, dass wir zusammen 38 Jahre durchhalten - im wahrsten Sinne in guten wie in schlechten Zeiten. Gerne hätte ich Dich behalten und noch 50 Jahre und mehr mit Dir zusammen gekämpft.

Vielen Dank für alles. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für Dich tun konnte

Miriam

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