Montag, 15. Februar 2021

Feedingtube Awearness Week - künstliche Ernährung, meine persönliche Geschichte

In der vergangenen Woche war die "Feedingtube Awearness Week" - also eine Woche in der die Aufmerksamkeit auf das Thema Ernährungssonden (jeder Art) gelenkt werden sollte. Ich versuche schon lange Euch einen Beitrag zu diesem Thema zu posten, aber das Thema ist so weitreichend, das es mir mal wieder schwer fällt, es einigermaßen kompakt zusammenfassen.

Warum musste ich künstlich ernährt werden

Das ganze Essensthema ist eine Geschichte für sich. Die Kurzfassung ist im Grunde typisch für meine Generation-Mukos: Hoher Energiebedarf, zu Anfang noch keine guten Enzyme um das Essen gut zu verwerten und immer enorme Schwierigkeiten essen zu können (Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen...). War ich als Baby noch normalgewichtig, wurde ich später immer dünner und lag irgendwann deutlich unter der 3er Perzentile bei diesen Gewichtskurven für Kinder.

Meine erste nasale Magensonde

1985, ich war neun Jahre alt, war ein schlimmes und sehr entscheidendes Jahr, was meine Gesundheit anging. Eh schon recht eingeschränkt in der Lungenfunktion, bekam ich Anfang des Jahres gleich zwei Lungenentzündungen hintereinander. Bei der Zweiten sah es wirklich beängstigend aus und mein sowieso schon geringes Gewicht war keine Hilfe. Zuerst bekam ich "Fett" über die Vene. Schließlich wurde entschieden, dass ich zusätzlich auch eine Magensonde (durch die Nase) bekommen soll. Allerdings waren 1985 Magensonden gefühlt so dick und unflexible wie heute Magenspiegelungschläuche. An das legen erinnere ich mich mit Grauen und bei jeder Lungenspiegelung ist allein der Weg vom Endoskop durch die Nase behaftet mit diesen furchtbaren Erinnerungen. So eine Sonde durfte immer sieben Tage liegen, bevor sie gewechselt wurde. An einem fünften Tag, entfernte eine Schwester zum waschen das Pflaster und ich sagte sofort panisch: "Die darf noch zwei Tage." Und zack hatte die Schwester die Sonde gezogen. Ich hab schrecklich geweint und die Schwester gehasst. Am nächsten Tag erklärte sie mir, dass sie es einfach nicht mit ansehen konnte, wie ich schon zwei Tage vor dem neu legen total aufgeregt und ängstlich war. Heute verstehe ich was sie meinte, aber damals fand ich es nur unfair. Ansonsten lief es gut mit Sonde. Schlucken war etwas schwieriger, aber meine Lieblingsschwester brachte mir von sich zu Hause Dosenobst mit, das rutschte gut. Und ich durfte mich auch selbst sondieren, ohne das jemand dabei war. Damals fand ich das total normal, im Rückblick heute ist es schon irgendwie krass. Von Fresenius gab es damals "Ochsenschwanzsuppe", das war mein Favorit - mein Teddy hat den Fleck davon allerdings immer noch. Magensonden für zu Hause waren noch nicht üblich. Daher war meine erste Phase der künstlichen Ernährung mit Entlassung aus dem Krankenhaus beendet. Es folgten einige Jahre in denen wir es mit den hochkalorischen Zusatzgetränken versuchten. Auch ein so ein Thema für sich.

Nasale Sonde Zweiter Versuch

1988, ich war inzwischen 12 Jahre alt, war das Thema Gewicht weiterhin ein großes Problem. Jetzt  konnte die künstliche Ernährung auch zu Hause stattfinden und so gab es einen neuen Anlauf mit einer nasalen Magensonde. Inzwischen waren diese deutlich dünner und weicher. Eine meiner "Muko-Vorbilder", Petra, schob sich ernsthaft jeden Abend selbst die Sonde und zog sie morgens wieder. Dafür habe ich Petra so bewundert. Bei mir gestaltete sich das Legen nicht ganz einfach und kaum war sie drin, hing sie mir nach einem Hustenanfall plötzlich aus dem Mund. Na super. Beim Versuch sie zu entfernen verhakte sie sich irgendwo in der Nase (da das Ende etwas dicker ist als der weiche Schlauch) und erst ein beherztes ruckartiges ziehen brachte den Erfolg. Damit war eine nasale Sonde definitiv vom Tisch.

PEG - ganz neu auf dem Markt und schon in meinem Bauch

Zu dieser Zeit hatte grade die erste Jugendliche auf der Station etwas total Neues bekommen: Eine PEG. Diese Art der Magensonde wird durch die Bauchdecke in den Magen gelegt. Der Vorteil ist, dass sie von anderen nicht gesehen wird (in dem Alter ein wichtiger Punkt), sie muss nicht ständig gewechselt werden und es stört kein Schlauch im Hals beim Schlucken oder Abhusten. Da das so neu war, kamen ständig Ärzte und Ärztinnen auf Station, die von den Schwestern wissen wollten: "Wo liegt die PEG?" Woraufhin unsere Schwestern immer nur auf ihren Bauch tippten und sagten: "So etwas neben dem Bauchnabel." Fand ich grandios. Lange Rede kurzer Sinn, ich wurde die zweite PEG! Ehrlich gesagt haben mich die Ärzte damals mit dieser Nachricht ganz schön überfahren (und meine Eltern auch). Ich war gar nicht begeistert und konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich mit so einem Schlauch im Bauch überhaupt bewegen würde können. Wieder war es vor allem eine meiner Lieblingsschwestern, die sich viel Zeit genommen hat, mir alles zu erklären, zu zeigen und mir die Angst so gut wie möglich zu nehmen. 
Foto: Miriams Puppe mit PEG
 
Meine Puppen waren ja immer im Krankenhaus dabei und die hingen natürlich auch an sämtlichen Schläuchen. Mariechen hat hinten eine Klappe, wo eigentlich kleine Schallplatten rein kamen (kennt heute gar keiner mehr) und für den Lautsprecher Löcher im Bauch. Daher war sie die Auserwählte für eine top selbstgebastelte PEG.
Foto: Die Puppen-PEG etwas mehr im Detail

Das Beste was mir passieren konnte.

Insgesamt gesehen habe ich mich schnell an die PEG gewöhnt. Es war im Alltag bei all dem Essensdrama eine unglaubliche Erleichterung. Nicht nur für mich, auch für meine Familie. Allein im ersten halben Jahr nahm ich 10 Kilo zu und mein gesamter Gesundheitszustand wurde stabiler. Weniger Notfall-Krankenhausaufenthalte, weniger Fehltage in der Schule und ähnliches. Es gab natürlich ein paar Anfangsschwierigkeiten. Die Haut an meinem Bauch war schnell rot und zum Teil blutig vom Pflasterverband. Wie gesagt, ich war erst die Zweite, es gab noch keine Erfahrungen. Erst versuchten wir es mit Mullbinden um den Bauch - die rutschten aber natürlich sofort nach unten. Und so kam es recht schnell, dass ich nur noch den Schlauch mit einem Stück Pflaster fixierte und wir die Erkenntnis gewannen, dass es keinen Verband brauch wenn die PEG gut eingewachsen ist. Leider brauchte ich gut eine halbes Jahr um meinen ersten Hustenanfall am Morgen so zu steuern, dass ich mich nicht mehr übergeben musste. Über Nacht lief schließlich ein Liter milchartige Flüssigkeit in meinen Magen. Ein weiteres unschönes Problem war das Material damals. Der Stöpsel zum anschließen des Ernährungsbeutels wurde nicht wie heut geschraubt, sondern mit geklebt. Das hielt so semi gut. Immer mal wieder wurde ich nachts wach, weil ich in einer warmen Lache aus Fresubin Vanille und Magensaft lag. Nicht schön. Schlimmer war es aber, wenn der Stöpsel in der Schule auf oder ab ging und mir der Magensaft am Bein lang lief. Riecht dazu ja auch noch eklig. 

Wechsel bis zum Button

Meine erste PEG hielt tatsächlich sieben Jahre, so lang hat es keine zweite geschafft. Einmal war sie mir allerdings in den Dünndarm gerutscht, das war wirklich unangenehm. So wurden die Schläuche also alle paar Jahre gewechselt. Ab dem zweiten Model hatten sich auch die Schwierigkeiten mit dem losen Anschluss erledigt. Was für eine Erleichterung. Dann kamen "Buttons" auf den Markt. Dies bedeutet zwei markante Unterschiede. Innen im Magen gab es keine feste Halteplatte mehr, sondern einen Ballon der mit etwas Wasser gefüllt das rausrutschen verhindert. Ein Nachteil dabei ist, dass dieser Ballon natürlich keine sieben Jahre hält, sondern irgendwann undicht wird oder platzt (fühlt sich an wie eine zerplatzende Kaugummiblase im Magen). Dafür kann der Button allein gewechselt werden, habe ich mich aber nie getraut. Na gut, ich hatte auch nur zwei bevor es anders weiter ging. Nun hätte ich Euch aber fast den wichtigsten und entscheidenden Unterschied zur klassischen PEG verschwiegen. Es hängt einem kein 15 cm langer Schlauch mehr aus dem Bauch. Es ist nur noch ein kleiner runder "Plastikknopf" wo direkt ein Adapterschlauch angedockt werden kann. Heute ist es glaub ich sogar nur noch ein schmaler Steg. Kein hängenbleiben mehr, noch dezenter, klasse.  

Letztes Kapitel PEJ

Im Juli 2013 versagte meine eigene Lunge endgültig und ich musste an die ECMO (Herz-Lungen-Maschine). Zusätzlich hatte ich auch einen Luftröhrenschnitt für die Beatmung. Unter diesen Bedingungen entschied das Behandlerteam meinen Button gegen eine PEJ zu tauschen. Der Unterschied zur PEG besteht darin, dass der Schlauch innen nicht an der Mageninnenwand endet, sondern bis in den Dünndarm vorgeschoben wird. Das sollte vor allem verhindern das die Nahrung zurück in die Speiseröhre lief und auch die Gefahr des Erbrechens war wesentlich kleiner. Ich hatte wahnsinnig Glück in dieser Situation und bekam meine Spenderlunge. Wie viele Mukos hatte ich in den folgenden Wochen und Monaten noch große Probleme mit meinem Darm. Da war die PEJ ganz praktisch, weil ich dadurch viel Flüssigkeit zum spülen sondieren konnte und nicht alles trinken musste. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich total gern bei "selten" oder "das passiert eigentlich nicht" dabei bin? Etwa ein halbes Jahr nach der Lungentransplantation habe ich es geschafft, den Schlauch aus dem Dünndarm durch den Mund zu erbrechen. Da sich zuerst der Kehlkopf verkrampfte, war es es erst einmal eine beängstigende Situation, da ich kurzfristig nicht atmen konnte. Gut das mit der Lunge minimal atmen ausreichte. Die PEJ wieder zurückzuverlegen ist keine großartige Aktion. Dank Propofol habe ich ja auch nichts mitbekommen :-). Mein Untergewicht war schon etwa ein Jahr vor der Lungentransplantation kein Problem mehr und so konnte die PEJ ca. 15 Monate nach der Operation völlig entfernt werden. Seit dem bin ich "schlauchfrei". Kein Sauerstoffschlauch, kein Ernährungsschlauch, schon merkwürdig, aber toll!

Warum ich absolut dafür bin

Auch dieser Absatz ist im Grunde einen eigenen langen Artikel wert. Und ich versuche auch wirklich jetzt zügig zum Ende zu kommen, versprochen. Für mich bedeutete die künstliche Ernährung eine unglaubliche Erleichterung. Essen war irgendwann so negativ behaftet und nur schlimm. Dazu der Frust und die Wurt auf mich selbst, weil ich es einfach nicht geschafft habe genug zu essen. Dann noch die Belastung vor allem meiner Mutter, die ja wusste, wenn ich nicht zunehme geht es mir immer schlechter. Essen wurde also plötzlich entspannt. "Richtiges" Essen ist ja nach PEG Anlage nicht verboten (bei Muko). Daher konnte ich essen was und vor allem soviel (sowenig) ich wollte und hatte immer die Sicherheit das Flüssigkeitszufuhr und Energiebedarf im Zweifel durch die künstliche Ernährung gedeckt sind. Darum habe ich auch lange mit der Entfernung gewartet. Sie hat mich nicht gestört, ich habe doppelt so lang mit Schlauch im Bauch gelebt als ohne und ich wollte einfach nicht, dass essen mal wieder so ein Druck und Stress wird. 

Zu diesem Thema gehören natürlich noch viele andere medizinische, moralische und ethische Aspekte. Was wenn eine PEG nur gelegt wird weil niemand im Krankenhaus oder Pflegeheim genug Zeit hat um mit den Menschen dort zu essen?  Was ist mit Sondenentwöhnung bei Kindern? Essen ist nicht nur reine Nahrungsaufnahme und noch so vieles mehr. Aber dies würde natürlich komplett den Rahmen sprengen und ich bin eh nur Experte meiner eigenen Ernährungsgeschichte. Daher erlöse ich Euch jetzt, aber wenn Ihr Fragen habt traut Euch.

Guten Appetit,
Miriam
 
 

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