Nachdem ich neulich von einer Transplantierten hörte, dass sie Schuld empfindet gegenüber der Spenderfamilie und ich auch immer mal Kommentare lese mit dem Tenor "Du willst das ein anderer Mensch stirbt" und noch schlimmere Dinge, möchte ich mich heute mal mit diesem schweren Thema befassen.
Fühle ich mich also schuldig? Nein! Auch wenn ich das vor der Transplantation manchmal befürchtet hatte, weil ich ZU mitfühlend sein kann. Ich fühle mich nicht schuldig, aber ich bin traurig. Traurig, dass jemand gestorben ist, der Familie und Freunde hinterlässt, die sie/ihn vermissen. Ein paar Tage nach meiner Lungentransplantation hatte ich einen Tag, an dem es mir rechnerisch möglich schien, das an diesem Tag die Beerdigung meines Spenders/meiner Spenderin sein könnte und habe viel geweint. Ich habe selber schon so viele liebe Menschen gehen lassen müssen und weiß wie weh das tut, wie schwer es ist mit diesem Verlust zu leben... weiterzuleben. Und ich wünsche das niemandem! Trotzdem ist es leider das Leben, die Realität und wenn wir lieben, gehört dieser Schmerz traurigerweise zum Leben dazu. An einigen Tagen ist das leichter und an einigen Tagen (gerade am Anfang) ist da dieses Gefühl, nie wieder glücklich sein zu können. Das alles kann ich zulassen, auch in Gedanken an meine Spenderfamilie, immer verbunden mit den Wünschen und der Hoffnung, dass sie "gut" durch diese schwere Zeit gekommen und wieder glücklich sind und an die schönen Zeiten mit ihrem geliebten Menschen zurückdenken können.
Schuldig? Nein. Ich versuche es eher so zu sehen, dass ich einen Teil eines geliebten Menschen am Leben erhalte, so wie es mich am Leben erhält. Wir sind nun eins, auch wenn ich nie vergesse welch großartiges Geschenk (oder Leihgabe?) es ist und meine Spenderfamilie immer in meinen Gedanken sein wird. Und ich hoffe so sehr, dass auch sie ein bisschen Trost in dem Gedanken finden, dass der furchtbare, unausweichliche, unfaire Tod ihres geliebten Menschen nicht völlig umsonst war, sondern mein (und vielleicht noch viele andere) Leben gerettet hat und ein Teil von ihm/ihr mit mir weiterhin die Welt erkundet, wertgeschätzt wird und nicht vergessen ist.
Eigentlich wäre dies ein schöner Schlusssatz gewesen, aber eins noch: Insa und ich schreiben oft von der Dankbarkeit und auch davon, dass wir gut auf dieses Geschenk aufpassen werden.
Es gibt aber auch Patienten (gerade jüngere), die das als unglaublichen Druck empfinden dankbar sein zu MÜSSEN. "Mach dies oder jenes nicht... Du musst auf Dein Organ aufpassen, denk doch an den Spender...". Von außen wird wohl niemand verstehen, was solche Sätze auslösen können. Für mich persönlich ist es schon so, dass ich meine zweite Chance wertschätze und "versprochen" habe mich gut um die Lunge zu kümmern. Andererseits ist das doch aber selbstverständlich, weil mein Leben davon abhängt. Ich selbst empfinde das aber nicht als Druck oder Zwang. Und die Gedanken an meine Spenderfamilie sind so "normal" wie Gedanken an andere Menschen die nicht mehr in meinem Leben sind. Manchmal mehr (gerade im ersten Jahr, an Jahrestagen, ...) und manchmal weniger. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit dem neuen Organ eins zu werden. Aber Schuld ist wirklich das Letzte was ein Transplantierter empfinden sollte.
Passt gut auf Euch auf (auf alte, neue, geliehene, geliebte und gehasste Teile),
Miriam
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