Freitag, 17. April 2020

Triage - was ist das, was soll das, was macht das mit uns?

Bei dem Wort Triage (ausgesprochen triaasch) denken im Moment viele sofort an Krankenhäuser, die Menschen sterben lassen, weil es nicht genügend Personal und Geräte zur Behandlung gibt. Aber die Triage ist gar nichts Neues und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. An dieser Stelle der übliche Hinweis, dass wir keine Mediziner sind und wir hier nur unsere Erfahrung teilen, beziehungsweise was wir uns angelesen haben. Außerdem ist es ein sehr komplexes Thema, welches wir hier einmal ganz vereinfacht dargestellt erklären wollen.

Zurück zum Thema. 


Wie gesagt, die Triage ist in der Medizin und vor allem in Notaufnahmen ein ganz normaler Ablauf. Ganz vereinfacht könnte man es als Ampelsystem erklären. Anders als zum Beispiel beim Hausarzt kommen in eine Notaufnahme sehr unterschiedlich stark erkrankte Menschen. Da geht es also nicht unbedingt der Reihe nach ("ich war aber zuerst da"). Schließlich macht es einen Unterschied ob ich mir in den Finger geschnitten habe oder ob ich gerade einen Herzinfarkt mit Atemstillstand erleide. Das sind jetzt sehr extreme Beispiele, aber ich denke Ihr versteht das System. Daher wird in vielen Notaufnahmen, vor allem wenn es sehr voll ist, das besagte Ampelsystem angewendet.
  • Rot sind lebensbedrohlich Kranke, die umgehend behandelt werden müssen, weil sie ansonsten einen dauerhaften Schaden erleiden oder sogar sterben. 
  • Manchmal wird an dieser Stelle noch in rot und orange unterteilt, aber wir wollen es hier einfach halten. 
  • Nach den rot eingestuften Kranken kommen die Gelben Patienten an die Reihe. Diese Patienten sind in der Erstsichtung schon als deutlich krank erkannt worden, haben keine lebensbedrohlich schlechten Werte (z.B. Blutdruck, Sauerstoffsättigung), aber ihr Zustand ist doch grenzwertig und es besteht die Sorge, dass die Situation schnell kippen kann. Gelb eingestufte Patienten sollten also nicht unbedingt noch fünf Stunden in einer Ecke sitzen/liegen und warten müssen. 
  • Grün sind Patienten, die nicht lebensbedrohlich erkrankt sind und für die es zwar unangenehm ist zu warten, aber - zumindest nach erster Einschätzung - keine schwere Erkrankung oder durch warten verursachte Folgeprobleme zu erwarten sind. 
  • Hier wird manchmal noch in blau unterteilt, dass sind dann meist Fälle, die eigentlich zum Hausarzt hätten gehen können. Ein Klassiker hier. "Ich habe schon seit Wochen diese Erkältung/Rückenschmerzen/eingewachsenen Zehnagel (kein Scherz, nicht ausgedacht)."
Soweit das Grundprinzip, bis hier her doch ganz logisch. Es gibt übrigens kein total genormtes einheitliches System. Aber der Aufbau ist immer ähnlich: Einteilung in 3 - 5 Gruppen. Manchmal gibt es für die einzelnen Gruppen Empfehlungen, wie lange es bis zur Behandlung höchstens dauern sollte, dann gibt es verschiedene Kriterien die quasi abgehakt werden (Puls, Atmung, Allgemeinzustand etc) und vieles mehr.
 Foto: GregMontani, www.pixabay.com
 

Besonderheiten zum Beispiel in Katastrophenfällen


Wenn wir an große Naturkatastrophen (zum Beispiel Erdbeben), Massenunfälle (Flugzeugabstürze, Zugentgleisungen...) oder Terroranschläge wie den 11. September denken, kann sich jeder glaub ich vorstellen, dass es eine unfassbare Menge von Verletzten gibt, aber erst nach und nach Hilfe kommt. Auch hier ist das Ampelsystem unglaublich wichtig.
Ein Beispiel: Ich komme als Arzt an so einen Unfallort und mir kommt ein selbstverständlich total aufgeregter, aber leicht verletzter Mensch entgegen gelaufen. Wenn ich nun also meinem ersten Impuls nachgebe, mich um ihn kümmere, versuche ihn zu beruhigen und seine vielen kleinen Kratzer und die gebrochene Hand versorge, liegt vielleicht 20 Meter entfernt ein Mensch der gerade verblutet, weil niemand die verletzte Beinarterie abbindet. Daher muss ich meinem ersten Impuls widerstehen, den Leichtverletzten schweren Herzens mit ein paar schnellen Worten abfertigen (kommt gleich jemand oder melden sie sich bitte an Ort xy) - eventuell "markiere" ich ihn schon mit einem farblichen Zettel und gehe dann weiter auf die Suche nach "roten" Patienten.

Schlimmste vorstellbare Entscheidung


Haben wir die absolut schlimmste vorstellbare Situation bei solch einer Katastrophe (und das ähnelt nun den furchtbaren Corona-Zuständen z.B. in Italien) mit unglaublich vielen roten Patienten und wenig Ressourcen (Ärzte- und Pflegepersonal, Betten, Geräte) muss ich als Ärztin/Arzt die schlimmste aller Entscheidungen treffen: Ich habe hier einen "roten" Patienten, dessen Aussichten zu überleben quasi null sind. Normalerweise würden jetzt trotzdem mehrere Personen alles versuchen auch diese letzte minimale Chancen zu nutzen und diesen Menschen zu retten. ABER: In dieser Zeit würden viele andere der roten Patienten sterben, die bei schneller Behandlung noch gute Aussichten hätten zu überleben. Jetzt muss ich als Mediziner*in quasi den einen Menschen opfern, um andere retten zu können.
Diese Entscheidung trifft niemand leichtfertig und ist natürlich ganz schrecklich für den, der nun zum sterben verurteilt ist, aber auch für die Person, die diese Entscheidung treffen musste.

Solche Entscheidungen müssen im Moment Mediziner in sehr stark betroffenen Corona-Regionen treffen. Alter ist hierbei leider ein Kriterium. Durch altersbedingenten "Verschleiß" und Vorerkrankungen ist das Risiko eine Covid-19 bedingte Beatmung mit 80 nicht zu überleben statistisch gesehen natürlich größer, als mit 20. Das wirklich miese in solchen Ausnahmesituationen ist, dass dann pauschalisiert wird/werden muss. Zum Beispiel bei ALLEN 80jährigen wird nicht mehr der Versuch unternommen sie mitttels Beatmung zu retten. Denn in diesen katastrophalen Ausnahmesituationen hat niemand mehr Zeit individuell auf die Menschen zu gucken, da geht es dann einfach pauschal nach der statistischen Wahrscheinlichkeit. Ganz ganz furchtbar - aber gleichzeitig auch irgendwie verständlich, wie sollte es ansonsten funktionieren?

Was macht das mit "uns Risikogruppe".


Ich bin nicht 80 und trotzdem würde ich in so einer extrem seltenen Ausnahmesituation dem Ampelsystem zum Opfer fallen. Mein Immunsystem wird wegen der Lungentransplantation gedrückt, mein Körper hat viel durch und Schäden davon getragen, meine Nieren funktionieren nicht mehr so super und so weiter... Würde ich also um einen Beatmungsplatz mit einer "gesunden" 40jährigen Frau konkurrieren, würde ich verlieren.

Tatsächlich habe ich so etwas im kleinen Maßstab schon erlebt: Nachdem ich schon über vier Jahre auf eine Lunge gewartet hatte, konnte meine eigene einfach nicht mehr und ich musste an die ECMO (eine Art Herz-Lungen-Maschine). Jetzt könnte man meinen, wenn es mir doch so schlecht ging, bin ich bestimmt gleich ganz oben auf die Warteliste gekommen. Aber so einfach ist das nicht. Das Ärzteteam und der Ethikrat (so wurde es mir zumindest später erzählt) mussten entscheiden, ob mir noch die Chance einer Transplantation gegeben werden kann. Es gibt nun mal sehr wenig Organangebote und jemand der noch allein zum OP laufen kann, hat natürlich viel bessere Überlebenschancen, als jemand, der mit absoluter Maximalmedizin am Leben gehalten wird. Außerdem schwingt natürlich auch mit, ob man den Patienten - in dem Fall mich - noch unnötigen Belastungen aussetzt, wenn es doch eh keine Hoffnung gibt. Zum Glück durfte ich weiterkämpfen und habe eine Spenderlunge bekommen, wofür ich wahnsinnig dankbar bin

#wirbleibenzuhause


All dies nun zu wissen, hat mir gerade in der Anfangszeit der schlimmen Bilder aus Italien tatsächlich etwas Angst gemacht und ich bekam auch wieder "Flashbacks" - das heißt ich hatte schlimme Erstickungsträume oder war im Traum zurück auf der Intensivstation. Das ist schon wieder viel besser geworden, vor allem weil ich sehe wie viele Menschen sich an die neuen Regeln halten und wir es ALLE GEMEINSEIN bisher geschafft haben, unsere Kliniken nicht zu überlasten und damit solche schlimmen Entscheidungen hier noch nicht getroffen werden mussten. Geschockt hat mich ein Bericht einer amerikanischen Mutter die schrieb, dass Muko-Patienten in fünf Staaten der USA zur Zeit kein Anrecht auf Beatmung haben... Was für ein furchbares Gefühl! Ich kann das gar nicht beschreiben.

Daher lasst uns bitte weiter daran arbeiten, die Kurve der Neuinfektionen mit dem Corona-Virus flach zu halten. Auch wenn ich verstehen kann, dass einigen die Decke auf den Kopf fällt, andere drei kleine Kinder in einer zu kleinen Mietwohnung bei Laune halten müssen und die wirtschaftlichen Sorgen immer größer werden. Aber auch wenn wir als Risikogruppe häufiger einen schweren oder gar tödlichen Covid-19 Verlauf haben, es kann durchaus auch einen jungen gesunden Menschen schwer treffen. Da sollte sich niemand in falscher Sicherheit wiegen. Darum bitte ich Euch, passt weiterhin gut auf Euch und Eure Mitmenschen auf. Wir werden das alle irgendwie schaffen, dessen bin ich mir sicher.

Alles Liebe,
Miriam


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