Freitag, 24. April 2020

Wie sollen wir damit leben - Neue Sicherheit

In den Medien hören wir nun immer häufiger, dass wir Menschen lernen werden müssen, mit dem neuen Corona-Virus zu leben. Viele sind darüber geschockt und fragen sich, wie soll man denn damit leben? Auch dass es nicht morgen vorbei ist, sondern Monate und Jahre dauern wird, ist für viele scheinbar erstaunlich. Ohne jetzt jemanden runterziehen zu wollen, aber dass gerade "wir" Hochrisikogruppe wohl eher in Jahren als Wochen rechnen müssen, ist mir schon lange klar. Es wird immer nach einem Termin geschrien, die Menschen bräuchten Perspektive, ein Datum, Planungssicherheit. Ja, das wäre sicher schön, aber so ein Virus hat nun mal keinen Kalender in seiner DNA und sagt dann am Tag X: "Okay, ich bin hier fertig, macht es gut."
Zeichnung: Insa Krey

Es wird alles langsam anders werden und es wird auch nicht wieder wie vorher, dazu ist zu viel passiert. Das meine ich gar nicht negativ. Es gibt immer Ereignisse, die das Erleben, das Sicherheitsgefühl und zum Teil auch das Verhalten ändern werden.

Vielleicht ein Beispiel aus meiner Kindheit: Tschernobyl. Ich war knapp elf Jahre alt und neben vielen Dingen an die ich mich erinnere, hat sich für immer geändert, dass ich nie mehr unbeschwert im Regen stehen/spielen konnte. Das war damals ein großes Thema. Natürlich gerate ich heute nicht in Panik wenn ich  unterwegs bin und es anfängt zu regnen. Aber als ich letztes Jahr die Nachbarskinder juchzend durch den Regen laufen sah, wurde mir bewusst, dass ich da doch sehr viel drüber nachgedacht habe und vor allem in den ersten Jahren nach der Katastrophe so schnell wie möglich rein gerannt bin wenn es auch nur nieselte. Könnte ja irgendwo auf der Welt gerade wieder was passiert sein, was nun mit dem Regen runter kommt.
 

Neue Alltagsroutinen


Lange Rede, kurzer Sinn. Alltagsroutinen werden sich verändern. Am Schlimmsten finde ich, dass ein gewisses Sicherheitsgefühl verloren gegangen ist. Und dieses Sicherheitsgefühl 2019 wird auch nie wieder kommen. ABER wir werden ein neues Sicherheitsgefühl entwickeln. Das geht nicht von heute auf morgen und wird auch bei jedem unterschiedlich lang dauern. Wie das geht, dafür gibt es - leider - kein Patentrezept. Das wir sich ganz automatisch entwickeln. Durch meine Erkrankung habe ich schon oft mein persönliches Sicherheitsgefühl verloren. Gerade wenn ich mich gut mit meinen Körperreaktionen auskannte, kam etwas neues dazu. Zum Beispiel der Diabetes. "Das nicht auch noch. Mist. Das werde ich nie lernen, was ist wenn xy passiert, was aber wenn zx, wie soll ich das schaffen?" Es wird natürlich nie "Yeah, Diabetes." Aber es wird zur Alltagsroutine. Ich habe wieder gelernt Situationen einzuschätzen, auf neue oder veränderte Körperreaktionen zu reagieren. Ganz schlimm war es nach der Lungentransplantation. Meine jahrelange Erfahrung mit MEINER Muko-Lunge einfach so dahin. Vorher wusste ich jedes Geräusch zu deuten, ich wusste wie ich bei welchen Symptomen reagieren muss, wusste im guten wie im schlechten was bei welchen Körperreaktionen wohl in den nächsten Tagen auf mich zukam. Nach der Transplantation war ich verloren. Was wenn... spüre ich, wenn etwas nicht gut ist... was tun... wie reagieren... . Wie soll der Alltag jemals wieder entspannt ablaufen. Und auch da ging es schneller als gedacht und schon war da ein neues Sicherheitsgefühl. Wieder anders und auch das wird mal erschüttert, aber es ist da.

Und so wird es auch mit Corona werden. Schöner wäre es, wäre alles geblieben wie es ist, aber wir werden uns an den neuen Zustand gewöhnen. Wir Mukos werden nicht mehr die einzigen sein, die das Händeschütteln ablehnen (und es wird hoffentlich nicht mehr so sehr als Unfreundlichkeit aufgefasst). Spuckschutz an Kassen werden Normalität und sicher noch ein paar andere Kleinigkeiten werden sich dauerhaft verändern. Natürlich wird es noch eine schwierige Zeit werden und es mag nach Floskel klingen, aber wir werden dass schaffen. Im Moment kann ich mir noch gar nicht vorstellen, je wieder ohne große Ängste zu verreisen oder auch nur mehrere Menschen zu treffen. Trotzdem wird es dazu kommen und ich werde es genießen können. Es wird ein Punkt mehr sein auf der Gedankenliste, gerade bei größeren Veranstaltungen oder beim Reisen, dass macht mich im Moment noch etwas traurig. Doch aus der Erfahrung heraus vertraue ich auf das neue kommende Sicherheitsgefühl.

Bleibt stark

Miriam

P.S.: Manchmal kann es nötig sein, Hilfe anzunehmen um sich wieder sicher zu fühlen. Solltet ihr große Sorgen haben, was in der Zukunft sein wird (gesundheitlich, wirtschaftlich, ...) oder wie ihr die Zeit in Isolation schaffen sollt, gibt es Telefonnummern, wo ihr eure Sorgen mal rauslassen und auch Hilfe bekommen könnt. Scheut euch nicht diese Angebote anzunehmen.
Hier nur ein paar Beispiele (im Netz findet ihr noch viel mehr):



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