Freitag, 2. Februar 2018

Lebensunwertes leben

Eine kleine Warnung vorweg, heute geht es in unserem Blog um ein düsteres und trauriges Kapitel der deutschen Geschichte. Der 27. Januar ist der "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus". Jetzt mögen sich einige fragen, was das hier in einem Blog über Mukoviszidose und Lungentransplantation zu tun hat. Dem Nazionalsozialismus fielen Menschen zum Opfer, die nicht in die verquere Idee einer "Herrenrasse" passten: Juden, Roma und Sinti, politisch anders Denkende, Künstler und viele weitere. So auch physisch und psychisch kranke Menschen. Da reichte auch schon mal eine Lernschwäche. Der Genpool sollte auf keinen Fall durch solche Menschen verunreinigt werden und neben Massensterilisationen wurden daher auch gezielt und organisiert kranke Menschen umgebracht. Man geht von etwa 200.000 Opfern aus. Dafür wurden Tötungsanstalten mit Gaskammern eingerichtet, aber auch Nahrungsentzug oder Medikamentenüberdosierungen waren probate Mittel "solche" Menschen loszuwerden. Öffentlich sprach man über einen "Gnadentod" und einen "Akt der Erlösung" - unglaublich. Eine Rechenaufgabe im Unterricht zur Zeit des Nationalsozialismus lautete: 125 Mark sind die Ausgaben für ein gesundes deutsches Schulkind. Um wie viel Prozent teurer kommt dem deutschen Volk ein Geisteskranker oder Krüppel?".

Dieses ganze Thema Krieg und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten hat mich als Kind wahnsinnig interesssiert und beschäftigt. Zum einen einfach weil ich schon immer ein sehr empathischer Mensch bin (manchmal etwas zu empathisch) zum anderen war mir irgendwie klar, dass ich solch einen Krieg nicht überleben würde. Selbst wenn ich nicht dem "Gnadentod" zum Opfer gefallen wäre, hätte es ja keinen Strom zum Inhalieren gegeben. So hab ich mir auch Konstruktionen überlegt, wie das ohne Strom funktionieren könnte - zum Beispiel ein großer Luftballon den man an das andere Ende des Inhalier-Schlauches befestigt (Überraschung, es funktioniert nicht!).

Leider erinnere ich mich aber auch an Begebenheiten, wo selbst mir noch schlimme Dinge gesagt wurden, weil ich genetisch nicht "normal" bin. Eine Situation war an einem Muko-Infostand Anfang oder Mitte der 80er Jahre, wo ein alter Mann auf diesen Stand zu kam und schrie: "Euch hätte man früher einfach erschossen." Und weg war er.
Aber selbst in der Schule konnte ich mir im Hauswirtschaftsunterricht der 10. Klasse von der Lehrerin einen Vortrag über "natürliche Auslese" anhören, in Verbindung mit der Verteufelung von Organtransplantationen. Das alles aus dem nichts heraus. Ich war so perplex und geschockt, dass ich mich gar nicht wehren konnte. Ein Mitschüler warf ein, ob sie auch so reden würde, wenn es dabei um ihr Kind ginge. Nützte natürlich nichts, aber ich war ihm dafür unglaublich dankbar.
Oder ich denke an einen Arzt, der noch vor etwa zehn Jahren im Anamnesegespräch darauf bestand: "Der Vater hat keine Schuld." Äh...meine Mutter (die daneben saß) auch nicht.

Wir glauben immer, dass solche Diskriminierungen und diesses Gedankengut veraltet und ausgelöscht ist. Und zum großen Teil ist das glücklicherweise auch so. Manchmal sind wir aber näher an dem Thema "lebensunwertes Leben" als wir denken. In Deutschland ist es theoretisch bis zur Geburt möglich ein krankes / behindertes Kind abzutreiben. Offiziel nicht weil das Kind beeinträchtigt ist, sondern weil der Mutter ein unzumutbarer seelischer Schaden droht.

Zum Abschluß ein Nachtrag zur Euthanasie im Dritten Reich direkt auf Mukoviszidose bezogen: Erst zwischen 1938 und 1944 wurde Mukoviszidose als eigenständiges Krankheitsbild erkannt und benannt. 1949 wiederum wurde erstmalig publiziert, dass es sich um eine Erbkrankheit handelt. Zudem sind zur dieser Zeit Betroffene schon im Säuglings- oder Kleinkindalter verstorben. Daher gibt es wahrscheinlich keinen Fall, wo ein Kind aufgrund einer gesichterten Muko-Diagnose vergast oder anderweitig getötet wurde.

Gedenktafel zur Erinnerung an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik und dessen Funktion und Bedeutung im Nationalsozialismus. 
(Fotoquelle wikimedia.org)

Unsere Gedanken gelten all den Opfern, Überlebende und deren Angehörigen, die noch heute unter den Folgen leiden - egal ob sie nun krank waren, dem falschen Glauben angehörten und sonstwie nicht ins System passten.

Miriam

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