Freitag, 26. Juni 2020

Transition

In dieser Woche gibt es mal wieder einen Gastbeitrag. Dieser Text über Transition, also den Wechsel von der Kinderklinik in die Erwachsenenklinik, ist von Thomas Malenke. Er hat Muko und ist 54 Jahre alt (nicht transplantiert). Thomas hat diesen Text für die Mitgliederzeitschrift des Mukoviszidose e.V. geschrieben. Ich durfte dafür die Bebilderung machen.
Hinweis für alle aus der Nicht-Muko-Community: In dem Text spricht er oft von CF - dies ist eine andere Bezeichnung für Mukovizdose (= zystische Fibrose / cystic fibrosis).

Viel Spaß beim Lesen,
Insa


Aufbruch in eine neue Zeit 

Dass wir dieses Heftthema „Abschied aus der Kinderklinik“ überhaupt wählen konnten, zeigt den enormen Fortschritt der Mukoviszidose-Forschung und Therapie. Früher, als die Betroffenen nicht so alt wurden, ergab sich einfach nicht die Notwendigkeit eines Abschieds. Vor 30 Jahren galt ein CF-Betroffener mit 30 schon als „steinalt“. Erwachsenen-Ambulanzen gab es nicht. Die wenigen Patienten, die 20 Jahre oder älter wurden, wurden – wie selbstverständlich – weiter in der Kinderklinik behandelt.

Erste Erwachsenen-Ambulanz in Hannover


1991 wurde in der Medizinischen Hochschule Hannover die erste Erwachsenenambulanz durch Prof. Fabel (Abteilung Pneumologie) eröffnet – in enger Zusammenarbeit mit Prof. von der Hardt (Kinderklinik). Nun hieß es erstmals Abschiednehmen für erwachsene Patienten – aber auch für Eltern, für Kinderärzte, Krankenschwestern und Physiotherapeuten. Meist geschah dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Auf die Erwachsenenärzte kam eine völlig neue Patientengruppe zu. Die internistisch ausgebildeten Pneumologen wurden erstmals konfrontiert mit jungen Patienten, oft gut informiert über CF und ihren eigenen Gesundheitszustand, häufig sehr therapietreu und anspruchsvoll, manchmal eckig und kantig. Sie hatten nicht nur Lungenprobleme, sondern auch oft Magen-Darm- und Lebererkrankungen. Die Behandlung war anders als beim klassischen, oft wesentlich älteren Lungen-Patienten. Die Bereitschaft, sich auf ein neues medizinisches Terrain einzulassen, war ganz unterschiedlich.

Christiane Herzog – ein Glücksfall für CF-Patienten

Eine glückliche Fügung gab dieser neuen Entwicklung einen enormen Schub: Roman Herzog wurde zum Bundespräsidenten gewählt. Und Christiane Herzog verschaffte ihren „Mukos“ ab 1994 in der neuen Rolle als Gattin des Bundespräsidenten wesentlich mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Das Schicksal der Mukos wurde präsenter als jemals zuvor. Der Aufbau der Erwachsenenversorgung in Ambulanzen und Rehaeinrichtungen war Frau Herzog ein zentrales Anliegen. Dies verlieh den seit Jahren vorhandenen Bemühungen der Kliniken und unseres Vereins einen ganz neuen Schwung.

Umstellung


Wie solch eine Umstellung auf ein neues Behandler-Team konkret verläuft, ob sie gelingt, ob man sich danach in der Erwachsenen-Ambulanz wohlfühlt oder zumindest zufrieden ist, hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Neue organisatorische Abläufe und Strukturen, aber auch ganz persönliche Einstellungen und andere Einflüsse spielen eine Rolle.

Strukturell wird die Umstellung nicht zuletzt von den vorhandenen Gegebenheiten beeinflusst. Im Idealfall bilden die Kinder-Ambulanz und die Erwachsenen-Ambulanz, zumindest für die Übergangsphase, eine interdisziplinäre Einheit. Beide Ambulanzen greifen dann auf gemeinsames psychosoziales, sozialrechtliches, ernährungsmedizinisches, oft auch physio- und sporttherapeutisches Personal (CF-Team) zurück. Leider fehlt es dafür manchmal in der Erwachsenenmedizin an den finanziellen Voraussetzungen.

Kurze Wege erleichtern gemeinsame Ambulanztermine, schon allein organisatorisch. Auch emotional ist es für uns Patienten leichter, wenn die Umgebung und wenigstens ein Teil des behandelnden Teams vertraut ist. Aber nicht überall ist ein solches Modell umsetzbar. Dann müssen wir als Patienten dankbar sein, wenn sich Erwachsenenmediziner für unsere „Nischenkrankheit“ interessieren und engagieren. In Deutschland (83 Millionen Einwohner) leiden etwa zehn Prozent der Kinder und fünf Prozent der Erwachsenen an Asthma, aber nur 0,01 Prozent, d.h. ungefäht 8000 Menschen, haben Mukoviszidose.

Kooperationen gefragt

Die Erfahrung zeigt, dass eine gemeinsame Zielsetzung der Kinderärzte und Erwachsenenmediziner und die stimmige „Chemie“ zwischen beiden für den Erfolg der Transition ausschlaggebend sind, vor allem, wenn die Ambulanzen relativ weit voneinander entfernt liegen. Überspitzt formuliert: Ein guter Übergang wird kaum gelingen, wenn man als Patient mit dem 18. Lebensjahr nur eine Visitenkarte der neuen Ambulanz, 50 km entfernt, in die Hand bekommt.

Erleichtert würde ein Wechsel auch, wenn es keine scharfe Altersgrenze gibt, sondern eine weiche, etwa beginnend mit 16 Jahren, sodass ab 18 der Übergang definitiv eingeleitet werden kann. Die beste Lösung wäre es, wenn der junge CF-ler selbst entscheiden dürfte, ob er schon mit 17 oder erst etwas später wechselt.
 Bild: Sketchnote erklärt Transition - wie kann sie funktionieren und was hilft beim Wechsel

Eigenverantwortung gefragt

Eine entscheidende Veränderung dürft darin bestehen, dass man in der Erwachsenenklinik mehr auf sich allein gestellt ist. Man muss selbst Verantwortung übernehmen. Je nach vorrangig betroffenen Organen, sind verschiedene Ärzte für einen zuständig. Damit der Informationsfluss zwischen den Medizinern gelingt, ist es wichtig, daran selbst mitzuwirken und stets alle wichtigen Befunde dabei zu haben, damit sich ein Arzt schnell ein Bild machen kann. Der CF-ler wird dadurch – trotz der beginnenden Digitalisierung, die noch nicht ausgereift ist – zum „Postboten“ in eigener Sache. Manch einer ist anfangs überfordert, wenn die Eltern nun nicht mehr beim Ambulanztermin dabei sind. Aber er muss sich darauf einstellen. Es geht um sein Leben. Gewöhnungsbedürftig ist es auch, wenn die Erwachsenen-Ambulanz personell knapper ausgestattet ist, vielleicht nur punktuell ein CF-Team vorhanden ist. Diese Versorgungsengpässe zu beseitigen und so die gesamte Situation zu verbessern ist daher eine der zentralen Aufgaben des Vereins.

Der Abschied aus der Kinderklinik ist für alle Seiten oft schwer. 18 gemeinsame Jahre, mit den Aufs und Abs, manchmal längeren stationären Aufenthalten, schweißen den CF-ler mit dem ganzen CF-Team zusammen. Und doch geht kein Weg an der Trennung vorbei. Die mittlere Lebenserwartung eines neu geborenen Kindes mit Mukoviszidose liegt ja heute bei 53. Dementsprechend wird es künftig auch viel mehr 70- oder 80-Jährige geben.

Der Abschied ist für CF-ler auch schwer, weil der Zeitpunkt mit vielen anderen Lebensumbrüchen einhergeht.

Vieles auf einmal

Die Pubertät ist gerade überstanden. Man erlebt vielleicht gerade die erste große Liebe. Die Loslösung von den Eltern kommt in Gang.

Fragen rund um Ausbildung und Beruf sind zu klären. Was möchte man eigentlich machen? Hotel Mama ade. In diese Umbruchphase fällt nun auch noch der Ambulanzwechsel.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den man rechtzeitig in Betracht ziehen sollte: Je früher die Eltern die Selbständigkeit ihres CF-Kindes gefördert haben, desto leichter fällt der Wechsel in die Erwachsenen-Ambulanz. Dieses Loslassen gelingt nicht von heute auf morgen. Es muss seitens der Eltern gezielt angestrebt und gebahnt werden. Wer schon frühzeitig seine Medikamente selbst einnimmt und weiß, wozu sie gut sind, der hat früh gelernt, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Und auf dieser Eigenverantwortung basiert das System der Erwachsenenmedizin.
Der Arzt ist mehr Berater und Unterstützer als früher, mehr gleichberechtigter Partner – weil man selbst eben erwachsen ist und inzwischen eigene Erfahrungen gesammelt hat, die einen leichter erkennen lassen, worauf es ankommt.

Wenn diese Strukturen akzeptiert und die persönlichen Ansprüche an die neuen Erfordernisse angepasst sind, wächst auch das Vertrauensverhältnis zum neuen Arzt.
Wir CF-ler profitieren dann davon, dass die Erwachsenenärzte darauf eingestellt sind, unsere Erwachsenenprobleme der CF zu behandeln: Diabetes, Osteoporose, zunehmende Veränderungen in Lunge, Darm, Leber etc.

Eine neue Etappe beginnt. Eine neue Etappe, die gelingen kann, wenn alle Beteiligten gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten: Patienten, Behandler und Eltern.

Hermann Hesse hat dies schön formuliert: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilf zu leben.“

Thomas Malenke

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