Freitag, 3. Januar 2020

Widerspruchslösung

Normalerweise würden hier unsere Neujahrswünsche für Euch und uns stehen. Aber manchmal gibt es Wichtigeres.
In kürze entscheidet der Bundestag über die Widerspruchslösung bei Organspenden. Eines vorweg: Niemand soll gezwungen werden seine Organe zu spenden, nicht im Leben, nicht im Tod. Und niemandem werden die Organe ... na ja, wir möchten gar nicht all die schrecklichen Worte und Metaphern aufzählen, die kursieren (selbst in seriösen Zeitungen "Reaktion auf FAZ"). Denn solche Worte brennen sich ein, auch wenn wir sie in diesem Fall in der Verneinung verwenden würden.

In einer perfekten Welt würde es zum einen erst gar keine Organspenden benötigen, zum anderen würden sich alle Menschen von selbst mit dem Thema beschäftigen und die Organe gerne verschenken. Für mich als Organempfänger ist es doch auch schöneres Gefühl zu wissen, das mein*e Spender*in das wirklich wollte und nichts gegen seinen/ihren Willen passiert ist. Aber leider gibt es keine perfekte Welt und mit dem Thema Tod oder schwer krank zu sein, beschäftigen sich die wenigsten aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Und genau dort setzt die Widerspruchslösung an.
Bild: junge Frau blickt aufs Wasser - Text: Dein Leben. Dein Körper. Deine Entscheidung.

Was will die Widerspruchslösung?


Die Menschen sollen dazu gebracht werden, wenigstens einmal darüber nachzudenken "was wäre wenn". Dabei geht es aber um mehrere Fragen. Natürlich primär, würde ich meine Organe spenden wenn zweifelsfrei durch mehrere Ärzte der Hirntod festgestellt ist.
Dahinter verbergen sich aber auch Fragen wie:
"Würde ich ein Organ annehmen, wenn es um mein Leben geht."
"Würde ich wollen, dass mein Kind/Partner/Mutter/Vater... durch eine Organspende gerettet werden?"
Diese verborgenen Fragen ehrlich für sich selbst zu beantworten, wenn der Körper und alle um einen herum gesund sind, ist unglaublich schwer. Denn wir Menschen können leider nicht sagen, wie wir in bestimmten Situationen reagieren. Wäre ich in einer Notsituation in der Lage "Erste Hilfe" zu leisten, obwohl ich theoretisch weiß wie es geht? Könnte ich etwas essen, was ich jetzt verabscheue/verurteile wenn ich am verhungern bin... ?
Es gibt Situationen die so weit von unserer Realität entfernt sind, dass wir vielleicht bestimmte (moralische, ethische..) Vorstellungen haben, aber wenn es hart auf hart kommt doch anders entscheiden bzw. Dinge anders sehen.

Wir haben vergessen in welchem Land, aber irgendwo ist oder war es so, dass Menschen die ihre Organe nicht spenden wollen, auch keine bekommen, bzw. ganz unten auf der Empfängerliste stehen. Auf den ersten Blick doch eine logische Konsequenz. Aber damit tun wir uns schwer. Hier wird nicht nur der Organbrauchende "bestraft", sondern auch seine Familie und Freunde. Außerdem kommt zum Tragen, was wir vorher beschrieben haben: Wie sehr wir am Leben hängen und wie sehr sich unsere Einstellung zu verschiedenen Dingen in Notsituationen ändert, können wir alle nicht vorhersehen. Wir hatten auch schon Muko-Freunde, die immer gesagt haben, dass sie für sich selbst aus verschiedenen Gründen keine Transplantation möchten. Aber wenn das Alltägliche zum Kampf und jeder Atemzug zur Tortur wird, sind die meisten umgeschwenkt - oft war es dann leider zu spät. Damit wollen wir nicht sagen, dass die Transplantation der einzig richtige Weg ist -  jede Entscheidung ist richtig, mutig und zu akzeptieren!

Angehörige entlasten


Es geht aber noch um weitere Aspekte bei der Widerspruchslösung. Sich nicht zu Lebzeiten pro oder contra Organspende zu entscheiden bedeutet, dass im Fall des Falles die Familienangehörigen entscheiden müssen. In so einer Situation, in der die Welt ohnehin gerade Kopf steht, eine solche wichtige Entscheidung zu fällen ist unsagbar hart. Die Familie mit einem Organspendeausweis zu entlasten ist in unseren Augen dagegen mehr als fair. Wir haben nämlich schon von Spenderfamilien und auch Familien die sich gegen eine Spende entschieden haben gehört, die sich ihr ganzes weiteres Leben fragen, ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Manche werden nicht mehr froh, weil sie permanent in Frage stellen, ob sie richtig gehandelt haben und ob es nicht anders besser gewesen wäre...

Organhandel


Auch das Thema Organhandel kommt in dieser Diskussion immer wieder hoch: "Ich würde spenden, aber da machen sich nur alle die Taschen voll...". Erstens bestraft man mit dieser Einstellung wieder den Organbrauchenden und noch viel wichtiger: Gibt es genug Spender, gibt es keinen Markt mehr für Organhandel. In Deutschland profitiert finanziell eh niemand von einer Organspende. Dass man sich irgendwo im Ausland ein Organ "beschafft" ist ein anderes trauriges und zum Glück seltenes Thema, aber auch dieser "Markt" würde zusammenbrechen, wenn es mehr Spenderorgane gäbe.

Selbstbestimmung


Ein weiteres sehr großes Thema in Bezug auf die Widerspruchslösung ist die Selbstbestimmung. Die Bundesregierung würde das Grundrecht darauf verletzen. Jeder soll selbst bestimmen, darum geht es doch. Denn wenn ich nicht zu Lebzeiten eine Entscheidung welcher Art auch immer getroffen habe, dann sind andere gezwungen für mich zu entscheiden. Und wie schon weiter oben beschrieben, ist das eine ganz furchtbare Verantwortung die man seinen Lieben da hinterlässt.

Keine Entscheidung auf Lebenszeit


Wer sich für eine Organspende entscheidet (oder dagegen) fällt keine Entscheidung für immer und ewig. Bei der Widerspruchslösung ist es - wie jetzt auch schon - möglich, seine Entscheidung zu ändern oder zu revidieren. Innerhalb von Jahren kann sich die Meinung eines jeden zu bestimmten Themen ändern - und dementsprechend kann auch ein Organspendeausweis neu ausgefüllt oder abgeändert werden.


Der Hirntod


Bei vielen Diskussionen hören wir, dass das Wissen über den Hirntod, der eine Organspende voraussetzt, bei vielen fehlt oder Zweifel an der Diagnostik bestehen. Dazu möchten wir etwas klar stellen: Der Hirntod ist nicht dazu da, um Organspender zu finden. Der Hirntod wurde als Maßnahme und Diagnostik eingeführt, damit bei schwerstkranken Menschen die Ärzte und Angehörigen wissen, ob gegebenenfalls die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet werden können - dann nämlich, wenn der Patient hirntot, also irreversibel hirngeschädigt ist. Bei einer sehr schweren Schädigung des Hirns (z.B. durch Blutungen) wird der Mensch nur noch durch die Geräte am Leben gehalten - er oder sie wird nicht wieder aufwachen können. Das heißt wenn eine Hirntoddiagnositk durchgeführt wird, können die Angehörigen wirklich sicher sein, dass bei ihrem Verwandten keine Medizin und Therapie mehr helfen wird. (In vielen Fällen, in denen die Geräte ausgeschaltet werden, gibt es gar keine Hirntoddiagnostik...)

Auch die Angst, dass zum Beispiel nach einem Unfall nicht alles menschenmögliche getan wird, wenn bekannt wird dass der Verletzte ein Organspender ist, hören wir immer wieder. Dem ist natürlich nicht so. Außerdem können Organe auch nur gespendet werden, wenn der Kreislauf (durch Maschinen) aufrechterhalten wird und die Organe weiter mit Sauerstoff versorgt werden.

Wir sind gespannt wie sich der Bundestag entscheiden wird. Hier könnt Ihr noch die Petition für die Widerspruchslösung unterschreiben: Petition für die Widerspruchslösung.

Vielen Dank das Ihr Euch mit dem Thema beschäftigt

Miriam + Insa

P.S.: Organspendeausweise bekommt Ihr bei der Krankenkasse, oft in Apotheken und Arztpraxen oder Ihr bestellt euch welche z. B. hier (auch ein Download ist möglich):
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
organspende-info.de
Muko eV



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