Samstag, 31. Oktober 2020

WIR gegen DIE

Zur Zeit werden behinderte Menschen, die als Teil der Corona-Risikogruppe zu erkennen sind, in den sozialen Medien beschimpft und angefeindet. Miriam und mir ist das glücklicherweise noch nicht passiert - was aber wahrscheinlich daran liegt, dass unser Risikogruppen-Dasein nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. In privaten Nachrichten (für offene Kommentare fehlt aus Angst vor einem Shitstorm wohl der Mut) werden Bekannte von uns als Grund für den zweiten Lockdown und die Einschränkung der eigenen Freiheit benannt: "Findest du es nicht übertrieben dass wegen Leuten wie dir alle zuhause bleiben müssen?"

Das ist nicht nett. Das ist überhaupt ganz und gar nicht nett. Meine ersten Gedanken dazu sind Schimpfwörter und quasi ein zurück keifen - aber das will ich nicht. Abgrenzung und "WIR" gegen "DIE" hat bislang in keiner Situation geholfen - weder bei Weiss gegen Schwarz, noch bei Ost gegen West, noch bei Inländer gegen Ausländer. Wir brauchen den Austausch, Verständnis und ein Miteinander - kein Abschotten und Gegeneinander.


Unsere Gesellschaft ist bunt

Deutschland ist vielfältig. Es gibt hier verschiedene Altersgruppen, verschiedene sexuelle Neigungen, verschiedene Hautfarben und eben auch verschiedene Behinderungen. Und leider gibt es Diskriminierungen auch in alles Farben, Formen und Auswüchsen - und es gibt Diskriminierung gegen Behinderte.

Ich möchte hier aber mal eins klarstellen: Die Risikogruppe ist nicht der Grund für den erneuten Lockdown - sie ist ein Grund von vielen. Hauptsächlich geht es in diesen Wochen darum unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten (siehe auch den Triage-Beitrag). Wir haben zwar sehr viele Intensivbetten und Beatmungsgeräte - aber wir haben bei weitem nicht genug Personal, um im Fall der Fälle alle Patienten richtig betreuen zu können. (Und NEIN, Covid-19 ist nicht wie eine Grippe - Covid-19 ist keine Lungen- sondern eine Multi-Organ-Erkrankung.) Außerdem geht es darum, dass derzeit (bei den sehr hohen Fallzahlen) die Mitarbeiter*innen der Gesundheitsämter keine Nachverfolgung mehr schaffen. Und es geht um die Hausärzte, die derzeit überrannt werden mit Anfragen von besorgten Patienten, ob eine Ansteckung vorliegen könnte und wie und wo ein Test zu machen sei...

Behinderte haben sich schon viel anhören müssen: das geht von "nutzlos" und "zu teuer" bis hin zu zuviel Rücksicht, welche die (normale/gesunde) Gesellschaft nehmen muss. Ich finde das sehr traurig. Ich glaube, jede/jeder von uns Behinderten könnte liebend gerne auf seine Krankheit/Einschränkung oder was auch immer verzichten. Wir haben uns unser Leben nicht ausgesucht. Wenn man es einfach sagen will: manche hatten Pech - andere hatten Glück. Deshalb wäre es schön, wenn die "Glücklichen" ihren Zustand tatsächlich erkennen und uns helfen würden - oder jedenfalls nicht behindern. Wir sind hier nicht der Sündenbock der Nation. Wir sind nicht Schuld am Corona-Virus. Auch wir haben uns dieses Jahr ganz anders vorgestellt. Und aus der Sicht der Lungentransplantierten, die nur noch eine begrenzete Anzahl an Lebensjahren hat, ist es besonders schwer auf alles zu verzichten - im Gegensatz zu den gesunden Personen, die noch locker 20, 30, 40 oder 50 Jahre vor sich haben.

Im Internet habe ich einen passenden Spruch gefunden. "Die Wahrheit ist: Du musst da durch. Du hast aber die Wahl ob Du das lächelnd oder jammernd machst."

Insa



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